Spracherkennung und Künstliche Intelligenz
„Leopoldus Secundus – Romanum Imperator – Semper Augustus“: Von sprechenden Maschinen, geheimnisvollen Schachautomaten und der Rolle des Menschen
Wird über Sprachautomatisierung debattiert, fallen sicherlich jedem Konsumenten sofort eine Reihe nerviger Ansagetexte ein, die den Blutdruck in Wallung bringen. Trefflich vor einigen Jahren auf die Spitze getrieben im Werbefilm eines Stromanbieters am Obststand mit dem roboterhaften Verkäufer und seinem Ansagetext: „Interessieren Sie sich für unsere Bananen, sagen Sie ‚Bananen’......“ Dem Stand der Forschung und dem Ansinnen der Wissenschaftler werden die endlos kolportierten Negativbeispiele nicht gerecht. Schon im 18. Jahrhundert war der Hofkammerrat Wolfgang von Kempelen unter Maria Theresia und Joseph II. davon beseelt, eine Sprechmaschine zu erfinden, die dem Menschen nützt: Der aufklärerisch gesinnte Beamte konstruierte einen Apparat, der gehörlose Menschen zur Lautsprache führen konnte.
Die Maschinen-Sprache sollte nicht nur hörbar, sondern vor allem für das Auge verständlich werden. Kempelen äußerte sich optimistisch, „dass die Maschine ohne sonderliche Kunst mit Tasten, wie ein Klavier oder eine Orgel einzurichten wäre, dass Spielen auf derselben, gegen die dermalige Art Jedermann viel leichter fallen würde“, berichtet 1792 das „Magazin für das Neueste aus der Physik und Naturgeschichte“ (Band 8, Seite 101).
Der Apparat war in der Lage, kurze aber vollkommen verständliche Sätze auf Französisch, Italienisch und Latein aufzusagen.
Das mechanische Stimm-Wunder glänzte bei öffentlichen Präsentationen mit Sätzen wie „vous êtes mon ami – je vous aime de tout mon Cœur“. Oder: „Leopoldus Secundus – Romanum Imperator – Semper Augustus“. Heute würde man die Kempelen-Erfindung als Experimentalphonetik bezeichnen. Seine Sprechmaschine, die im Deutschen Museum in München steht, wurde vom englischen Wissenschaftler Charles Wheatstone nachgebaut und 1863 dem damals 16-jährigen Alexander Graham Bell präsentiert. Bell baute daraufhin eine neue Sprechmaschine. Seine Experimente mit der Imitation und Übertragung der menschlichen Stimme führten 1876 zur Konstruktion des Telefons.
Die Idee, dass ein lebendiger Organismus gemäß den Gesetzen von Physik funktioniert und prinzipiell mit Mitteln der Mechanik simuliert werden kann, war spätestens seit dem 17. Jahrhundert nicht länger unklar und verdächtig, sondern wissenschaftliche Hypothese.
Die Pionierarbeit von Kempelen wirkte bis ins 20. Jahrhundert: auf Persönlichkeiten wie Charles Babbage, dem „Father of computing“, Homer Dudley, der den Voice Operation Demonstrator (VODER) baute oder auf Mathematiker wie John von Neumann und Norbert Wiener, die sich mit Sprache und Logik beschäftigten.
Berühmt wurde Kempelen übrigens durch eine Camouflage: Er baute 1769 den berühmtesten Automaten des 18. und 19. Jahrhunderts. Der „Türke“ oder Schachtürke, wie man die Puppe auf Grund ihrer orientalischen Tracht nannte, zählte als „Schachmaschine“ zu den größten Techniksensationen seiner Zeit.
Funktionierte die Maschine wirklich autonom, dann wäre sie die „wunderbarste über jedwede Vergleichung turmhoch erhabene Erfindung der Menschheit“, bemerkte Edgar Allen Poe, der die Maschine in Richmond bestaunen durfte.
Die Erfindung des Schachtürken machte Kempelen in Europa und den USA berühmt. Sie war zwar eine Täuschung, „aber eine Täuschung, die dem menschlichen Verstande Ehre machte“, so Karl Gottlieb Windisch über das Genie der Mechanik.
Weitaus wichtiger ist die sprechende Maschine: Wissenschaftsgeschichtlich sei das Kempelen-Werk nach wie vor von Bedeutung, ebenso seine Ansichten und seine philosophische Betrachtungsweise, erläutert die Kempelen-Expertin Alice Reininger von der Universität für angewandte Kunst in Wien.
Dennoch gibt es Grenzen, die Immanuel Kant bei den mechanischen Wunderwerken des 18. Jahrhunderts erkannte und die sich auch auf noch so komplexe und automatisierte Welten unserer Tage beziehen lassen - von Alexa bis Watson: Der Mechanismus mag so kompliziert sein, dass er mit den Mitteln der Vernunft kaum noch zu erfassen sei, er bleibt doch ein Automat bar jeder Spontaneität. Kant lehnt aus guten Gründen die Gleichsetzung von Automat und vernünftigen Wesen ab und verwirft Leibnizens Konzept des Menschen als Automaton spirituale.
Eine moralische Einordnung der Maschinen, die in Debatten um Künstliche Intelligenz immer wieder eine Rolle spielt, ist also kein neues Phänomen. KI-Forscher Wolfgang Wahlster fordert eine „Informatik für den Menschen“: Eine der wichtigsten Herausforderungen für die zukünftige Wissensgesellschaft sei die Schaffung intelligenter Technologien für die Mensch-Technik-Interaktion, die den natürlichen Kommunikationsstil von Technik-Laien akzeptieren, einen direkten Dialog mit der Technik unterstützen und damit Hemmschwellen bei der Nutzung von Hochtechnologie abbauen. „Semantische Technologien überbrücken die Lücke zwischen der Fachsprache der Informatik und den Sprachen ihrer Anwender, weil sie es erlauben, verschiedene Begriffssysteme ohne Bedeutungsverlust ineinander zu übersetzen. Automobilingenieure, Medizintechniker oder Logistikexperten sind mit semantischen Technologien in der Lage, Wissen und Prozessmodelle digital in der eigenen Fachsprache zu formulieren, ohne die speziellen künstlichen Sprachen zur maschinellen Wissensrepräsentation erlernen zu müssen“, betont Wahlster.
Der Computer, die Maschine müsse im Kommunikationsverhalten dem Menschen entgegen kommen, ist Wahlster überzeugt. „Mein Ausgangspunkt ist der Mensch“, so die Position des inzwischen verstorbenen Informatik-Veteranen Weizenbaum. Der „Pionier, Dissident und Computerguru“ der KI-Forschung stellte den Begriff des „Verstehens“ in Frage: „Heute ist es Mode geworden, über ‚computer understanding of natural language’ zu sprechen. Dem Computer soll also beigebracht werden, die natürliche Sprache - zum Beispiel Deutsch oder Englisch – und nicht nur die künstlichen Sprachen wie eben spezifische Computersprachen zu verstehen. Das beinhaltet die Idee, das ein Satz eine bestimmte Bedeutung hat.“ Maschinen fehle aber der menschliche Erlebnishintergrund. Sie können sogar zu Vollstreckern von Befehlen werden und wesentlich brutaler agieren.
So kann sich anfänglich hilfreiche Technik sehr schnell zum repressiven Oberlehrer wandeln – mit und ohne semantische Technologien. Es ist aber höchst bedenklich, wenn Systeme, Geräte oder Suchmaschinen darüber entscheiden, was richtig und was falsch für uns ist, unser Verhalten einschränken oder sogar sanktionieren und Täuschungsmanöver erleichtern.
Turing, Täuschungen und die KI
Eine der seltenen historischen Ausflüge Alan M. Turings, der sich mit dem Prinzip der Universalmaschine beschäftigte, betrifft Kempelen. In „Digital Computers applied to Games“, erwähnt Turing den mechanischen Schachspieler als ironischen Vorläufer der Forschung zur Künstlichen Intelligenz. Turing konnte natürlich nicht ahnen, dass aus der Ironie Wirklichkeit geworden ist – zumindest bei denjenigen Protagonisten, die den Einsatz von Künstlicher Intelligenz nur vortäuschen.
So sagte der Gründer von Engineer.ai, Sachin Dev Duggal, dass bereits 82 Prozent einer App, die das Unternehmen entwickelt hat, automatisch mit der firmeneigenen Technologie erstellt worden seien. „Doch Reporter des Wall Street Journals berichteten, dass das Unternehmen bei der Erledigung des größten Teils dieser Arbeit auf menschliche Ingenieure in Indien setzte“, schreibt die SZ.
Besonders problematisch sei es, wenn KI bei sogenannten Chatbots vorgetäuscht wird. „Studien haben gezeigt, dass Menschen mitunter Maschinen mehr anvertrauen als menschlichen Chatpartnern, weil sie davon ausgehen, dass niemand davon erfährt. Es gibt Start-ups, die auch in diesem Bereich Leute dafür bezahlen, sich wie Maschinen zu verhalten, um dann ihr System als maschinelles Lernen zu verkaufen. 2016 enthüllte die Nachrichten-Agentur Bloomberg, dass einige Menschen zwölf Stunden am Tag damit verbrachten, sich als Chatbots für Kalenderdienste wie X.ai und Clara auszugeben“, führt die SZ aus.
Über digitale Wunder und Wundermaschinen geht es im #DigitalXStudio am 19. Mai, um 11 Uhr.
Am 18. Mai, um 12 Uhr schauen wir unter die Motorhaube der Wirtschaftsförderung und betrachten, wie man ein Robotik Valley und maßgefertigt Arbeitsplätze schaffen kann?
Am Nachmittag, um 16 Uhr, sprechen wir mit Jacqueline Althaller und Meike Leopold über den #Aufbruch in die digitale Dimension.